Vor einem Jahr hat Annika zusammen geschrieben, was wir aus der Corona Krise hoffentlich gelernt haben werden, wenn sie vorbei ist. Jetzt hat sie sich ihren eigenen Artikel noch einmal durchgelesen und ihre Gedanken dazu aufgeschrieben.

 

Annikas Artikel von vom 22. März 2020, auf den dieser Artikel Bezug nimmt, lest ihr hier.

Es ist Montag, der 22. März 2021, 18 Uhr 20 Minuten. Es ist noch immer nichts normal. Was ist Normalität eigentlich? Wenn wir davon ausgehen, dass „normal“ unser Leben von vor der Krise bedeutet, sind wir davon auch ein Jahr später noch ziemlich weit entfernt. So vieles musste letztes Jahr ausfallen, im Kleinen (Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Urlaube…) und im Großen (EM, Olympische Spiele, Konzerte, Festivals…). Mein Opa hat dieser Tage oft Tränen in den Augen, aber nicht vor Freude, sondern weil er sich einsam fühlt. Seine Familie ist so nah und doch so fern.

 

Es ist immer noch nichts normal. Es ist immer noch Krise. Das Corona-Virus hat uns alle fest im Griff, in Erlangen, in Bayern, in Deutschland, in Europa, weltweit. Und jetzt sitze ich wieder hier, in Erlangen, zu Hause und mache mir Gedanken über die aktuelle Situation, was mich immer noch negativ stimmt. Ich habe immer noch Angst. Um meinen Opa, um meine Eltern, um die Zukunft. Auch exakt ein Jahr später sieht es nicht recht viel anders aus.

Ich bin heute früh aufgestanden und habe mich tatsächlich innerlich darüber beschwert, dass das Wochenende schon wieder vorbei ist und ich zur Arbeit muss. Andererseits war ich gleichzeitig froh, dass ich überhaupt noch einen Job habe, der in diesen Zeiten machbar ist. Dass ich keine Angst haben muss, morgen nichts mehr zu essen zu haben oder die Miete nicht mehr zahlen zu können, dass ich kein Lebenswerk habe, das gerade zugrunde zu gehen droht. Dann habe ich mir einen Kaffee gemacht und den Text vom letzten Jahr hervor gekramt.

 

Was haben wir also nach über einem Jahr Pandemie gelernt? Haben wir uns irgendwie verändert? Meine Oma sagte oft „selten ein Schaden, wo kein Nutzen dabei ist“. Ich sehe immer noch ganz viel Schaden und wenig Nutzen. Die Infektions-Zahlen sind hoch und steigen aktuell sogar wieder, was leider auch für die Zahl der Toten gilt.

Ein Lichtblick ist die Zahl der Geimpften, die ganz, ganz langsam steigt. Die Auswirkungen auf Unternehmen, Restaurants, Pfleger*innen, Mitarbeiter*innen in Supermärkten, Bars, Geschäfte, Discos, Konzertveranstalter, Musiker*innen, Künstler*innen, Theater, Familien, Studierende, auf alle, sind immer noch riesig. Ich würde meine Oma jetzt gerne fragen „Wo, bitte, ist denn da der Nutzen?!“, aber das kann ich nicht mehr. Vielleicht zeigt der sich, irgendwann mal.

 

Wir können ein Jahr später oft nur halbwegs normal unserer Arbeit, unserem Studium und unserer Freizeit nachgehen, vieles ist nach wie vor unmöglich. Wenn ich öffentliche Verkehrsmittel nutze, fühle ich mich nicht wohl, weil zu viele Menschen sich für mein Dafürhalten einfach nicht streng genug an die Regeln halten.

Wir können nicht im Café sitzen und die ersten Sonnenstrahlen genießen, aber ein von zu Hause mitgenommener Kaffee und eine Parkbank tun es auch, die Ansprüche wurden teilweise herunter geschraubt.

Abstand zu halten haben wir zwischendurch gelernt, danach aber leider zu oft wieder vergessen. Wir drängeln und schubsen wieder öfter, nicht nur im Supermarkt, sondern auch wenn es um die paar kleinen Freiheiten geht, die wir zurück erlangen wollen, den Besuch beim Friseur, im Baumarkt oder im Klamottenladen, den Urlaub auf Mallorca, die Impfung oder die Party in der WG. Wir haben gemerkt, dass es mehr gibt, als uns selbst, dass uns aber vor allem Freunde und Familie gefehlt haben.

Wir wollen weiterhin alles sofort haben und verlagern die Befriedigung unserer Konsumbedürfnisse ins Internet, um uns unzählige fies grinsende Pakete liefern zu lassen von Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wir sehnen uns nach weiten, verrückten, exotischen Urlaubszielen, wobei diese Attribute momentan selbst auf Mallorca oder Großbritannien zutreffen würden. Vielleicht wissen wir die ganz alltäglichen Begegnungen mehr zu schätzen, mit Freunden, der Familie, den Großeltern.

Wir haben kurz bemerkt, dass „systemrelevant“ nicht automatisch eine angemessene Entlohnung oder Wertschätzung bedeutet, mancherorts wurde auf Balkonen geklatscht oder Angestellte in Supermärkten bekamen „großzügige“ Einkaufsgutscheine für die Läden ihres Arbeitgebers. Aber im Grunde hat sich wenig getan an den Arbeitsbedingungen der Betroffenen, an der Anerkennung und Wertschätzung, die wir ihnen gegenüber zeigen, dafür, dass sie für uns ihre eigene Gesundheit, sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Wir schenken ihnen vielleicht ab und zu ein Lächeln, beschäftigen uns aber ansonsten weiterhin mit unseren eigenen Problemen.

Wir wissen die Ruhe nicht mehr zu schätzen, wir sehnen uns manchmal sogar nach dem Trubel, der Sorglosigkeit und Hektik vergangener Tage. Videokonferenzen und Telefonate erschöpfen uns, auch weil das Internet stellenweise immer noch Neuland zu sein scheint.

Stolz wurden die CO2-Zahlen für das vergangene Jahr präsentiert, juhu, wir haben das Ziel erreicht! Doch wie haben wir das „geschafft“? Da musste eine Pandemie durchs Land fegen und monatelang alles zwangsweise stilllegen, wir selbst haben also wenig dazu beigetragen, was meine Hoffnung schmälert, dass wir unser Verhalten wirklich verändert haben werden, wenn das Virus weit genug eingedämmt ist.

Wir haben deutlich vor Augen geführt bekommen, dass wir noch lange nicht alle gleich sind. Lokalpolitiker drängeln sich beim Impfen vor, Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen (Fleischindustrie, Erntehelfer, Paketdienste) sind einem deutlich höheren Infektionsrisiko ausgesetzt, große Konzerne bekommen viele Milliarden an Unterstützung, während kleinere Betriebe oder Studierende um jeden Euro kämpfen müssen.

Theoretisch sind wir alle gleich anfällig für das Virus und nur gemeinsam könnten wir zu wirksamen Lösungen finden, wir müssten zusammenarbeiten statt immer nur gegeneinander. Geld und wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis stehen aber immer noch ganz weit oben, was einige Politiker mehr als anschaulich zeigten, indem sie aus der Krise auch noch privaten Gewinn zu ziehen versuchten.

 

Viele meiner „Vielleichts“ aus dem letzten Jahr gingen zu weit, siehe oben. Es hat sich leider wenig verändert und ich habe den Eindruck, dass tatsächlich viele einfach zum Status quo von vor der Krise zurückkehren wollen.

Ich denke trotzdem, dass wir einige Erkenntnisse mitnehmen werden, dass wir die Augen zumindest ab und zu nicht mehr verschließen, sondern offen halten. Offen für unsere Mitmenschen und deren Bedürfnisse und Grenzen, zum Beispiel die Bedürfnisse älterer Menschen oder von Familien oder Studierenden. Offen für eine Veränderung unseres Verhaltens, weil wir jetzt wissen, dass Veränderungen möglich sind, wenn wir nur wollen (oder müssen).

Offen für neue Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten und zu bleiben, etwa gemeinsame online-Spieleabende, Skype-Telefonate mit der Familie oder den guten, altmodischen Brief an den Opa, dem Telefonieren schwer fällt, weil er schlecht hört. Offen für die Probleme auf der Welt, für die Probleme des Planeten selbst (davon gibt es leider immer noch genug). Offen für kreative Lösungen und andere Aktivitäten (vom selbst angesetzten Sauerteig über Spazierengehen bis hin zum Heimwerken haben wir alle im letzten Jahr bestimmt etwas dazu gelernt, was wir sonst vielleicht nie ausprobiert hätten).

 

Ich habe meinen Kaffee ausgetrunken und über meine Gedanken vom letzten Jahr nachgedacht und gemerkt, dass ich immer noch genauso nachdenklich bin. Ich vermisse die vielen schönen Dinge, den Kinobesuch statt Netflix, den Kaffeeklatsch mit Freundinnen, der bei einer wirklichen Begegnung einfach ganz anders verläuft als übers Internet, Besuche bei der Familie ohne Angst haben zu müssen, sie anzustecken. Ich bin aber definitiv dankbar für die Fortschritte, die die Forschung mittlerweile gemacht hat, für die Impfungen, die ein kleiner Lichtblick sind am Ende des langen Corona-Tunnels.

 

Von Annika Schwarm

 

Beitragsbild: Martin Scherbakov

1 Comment

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