Das Gostner Hoftheater zeigt in einer deutsch-polnischen Koproduktion eine Lesart der „Madame Bovary“, die den Grad von Selbstbestimmung für Frauen der damaligen und heutigen Zeit genau unter die Lupe nimmt.

Der Abend bewegt sich auf drei Ebenen: Erzählt wird die Geschichte von Madame Emma Bovary, die Geschichte des Prozesses um Gustave Flaubert, der wegen genau dieser Madame vor Gericht stand, und die Geschichten von vier Frauen von heute, die zu erkennen geben: nur weil es 2022 ist, heißt das nicht, dass wir sehr viel weiter sind als 1856 was Gleichberechtigung anbelangt.

Doch von vorne. Anders als im Buch steht in diesem Stück explizit die Perspektive der Madame im Zentrum: Emma heiratet den Arzt Charles Bovary, zieht mit ihm aufs Land und langweilt sich dort furchtbar. Sie fühlt sich gefangen von der Verpflichtung, Hausfrau sein zu müssen, und von der romantischen Leidenschaft, die sie sich von ihrem Ehemann erträumt hatte, ist nichts zu bemerken. Sie bekommt ein Kind, doch es ist nicht der erhoffte Sohn, der allein durch sein Geschlecht frei sein könnte – es ist eine Tochter, die genau wie ihre Mutter durch die Konventionen ihrer Zeit gebunden sein wird. Emma wählt einen Weg, der ihr die ersehnte Freiheit bietet: sie begeht Ehebruch.

Katarzyna Tadeusz in “Bovary” (Foto: Joanna Lewicka).

Dass Gustave Flaubert, der Autor des Romans, Emmas Affären nicht verdammte, sondern stattdessen neutral darüber schrieb, bescherte ihm 1857 ein Verfahren vor Gericht. Die Selbstbestimmung einer Frau war den damaligen Empfindlichkeiten wohl nicht genehm – und ist heute nicht weniger ein Streitthema, das die Darstellerinnen in ihren eigenen Geschichten aufgreifen: Frauen müssen sich noch immer vor Übergriffen fürchten, sei das auf dunklen Straßen, am Arbeitsplatz oder im eigenen zu Hause. Sie müssen sich dafür rechtfertigen, warum sie keine Kinder wollen, oder warum eben doch. Sie müssen dafür kämpfen, dass Schwangerschaftsabbruch enttabuisiert, im Falle Polens wieder legalisiert wird. Ob Männer wohl auch jeden ihrer Schritte so genau abwägen müssten, wird an einer Stelle gefragt. Die Antwort dürfte wohl allen klar sein.

Der Abend hat Tempo, gesichert durch die Integration der drei Erzählebenen, durch den Einsatz von Musik, ungewöhnlichen Instrumenten und Videoprojektionen sowie die kreativen, multifunktionalen Kostüme, die historisierende und sportliche Elemente vereinen. Dazu kommt das Ineinanderfließen von drei Sprachen; Deutsch, Polnisch und Spanisch. Da ist kein Platz für Langeweile, wenn diese bestens kombinierten Elemente durch die vier großartigen Darstellerinnen zusammengeführt und auch noch mit Humor gefüllt werden.

Die vier Darstellerinnen (v.l.: Johanna Steinhauser, Yudania Gómez Heredia, Katarzyna Tadeusz, Philine Bührer) und der heimliche fünfte Star des Abends: der Overhead-Projektor (Foto: Kurt Preinl).

Eine besondere Rolle spielt ein Overhead-Projektor: ein altes, beinahe schon anachronistisches Stück Technik, das während der gesamten Vorstellung sehr clever eingesetzt wird, um Bilder und Textstücke zu projizieren, Szenenwechsel zu signalisieren und das es sogar schafft, Assoziationen zu Tinder herzustellen. Außerdem ein Stück Technik, von dem man meinen sollte, dass es mittlerweile durch Zeitgemäßeres ersetzt worden sein müsste, und das sich trotzdem noch hartnäckig laut surrend hält. Wenn sie auch weit hergeholt klingen mag, ist eine gewisse Parallele zu genauso wenig zeitgemäßen und sich dennoch hartnäckig haltenden patriarchalischen Strukturen da nicht abzustreiten.

Philine Bührer (vorne) und Katarzyna Tadeusz (hinten) (Foto: Kurt Preinl).

Emmas Geschichte nimmt kein gutes Ende, aber sie lässt es sich nicht nehmen, es zu ihren eigenen Bedingungen zu gestalten. Das ist der Traum, den die vier Darstellerinnen da auf die Bühne stellen: frei sein von Erwartungen und Zwängen und endlich Entscheidungen treffen dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Ein mitreißender, kluger Abend, der einen spannenden Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Fiktion und Realität schlägt und der mit wohlverdientem Applaus gewürdigt wurde.

Übrigens: Das Gostner Hoftheater bietet für seine Eigenproduktionen, wie es “Bovary” eine ist, ein Studierenden-Special an! Immer mittwochs und donnerstags gibt es zwei Karten zum Preis von einer. Termine und Tickets findet ihr hier.

„Bovary“ nach Gustave Flaubert

Eigenproduktion am Gostner Hoftheater

Regie: Joanna Lewicka

Kostüme: Marta Góźdź

Musik: Tomasz Krzyżanowski

Videoschnitt: Karol Rębisz

Dramaturgie: Christine Haas

Besetzung: Philine Bührer, Yudania Gómez Heredia, Johanna Steinhauser, Katarzyna Tadeusz

Text: Svenja Plannerer

Beitragsbild: Kurt Preinl

Bilder im Text: Joanna Lewicka & Kurt Preinl