Unsere Autorin Johanna hatte die Gelegenheit, mit den beiden jungen Regisseur:innen der Inszenierung von La Bohème am Experimentiertheater der FAU zu sprechen und anschließend die Generalprobe zu besuchen.

Regiesseur:innen: Elisa Memaj und Nick Lieberknecht
(Foto: Johanna Neumeier)

V: Stellt euch unseren Lesern bitte einmal vor!

Elisa: Ich bin Elisa, ich studiere an der FAU Theater- und Medienwissenschaften und Italienisch und bin jetzt im letzten Bachelorsemester. Schon vor meinem Studium und jetzt immer mehr habe ich meine Liebe und Begeisterung für die Oper entdeckt. Ich habe einmal bisher am Opernhaus hospitiert und bin dann so in diese Welt gekommen und habe festgestellt, dass ich in die Regie möchte. Dann habe ich Nick bei einem Seminar kennengelernt und er hat mich gefragt, ob ich nicht bei einem Opernprojekt mitmachen will. Ja und seitdem planen wir das Ganze hier und organisieren das zusammen.

Nick: Ich heiße Nick, bin 28 Jahre alt und studiere auch Theater- und Medienwissenschaften im letzten Bachelorsemester, mein Zweitfach ist aber Pädagogik. Ich bin eigentlich schon seit der Kindheit mit der Oper und mit dem Theater verbunden gewesen und habe dann Anfang meiner Zwanziger entschieden, dass ich eigentlich gerne Opernregisseur werden würde, wobei mir sehr bewusst ist, dass das ein großes Vorhaben ist, weil es einerseits nur wenige gibt, die das Privileg haben, das machen zu dürfen und zweitens weil es nicht so ein üblicher Beruf ist wie Bäcker oder Maurer oder Steuerberater.

V: Elisa, du hast ja schon gesagt, dass Nick dich dazu gebracht hat, hier mitzumachen. Wie ist das Projekt denn generell entstanden und wer ist daran beteiligt?

Nick: Ich bin vor mittlerweile zwei oder drei Jahren zu Andrè Stuck gegangen, dem Praxisdozenten am Institut für Theaterwissenschaften und hab ihm gesagt, ich würde hier gerne mal eine Oper machen. Nach kurzer anfänglicher Skepsis startete dann eine Phase der Konzeption, für die ich in Elisa Memaj und Jonas Schlund Gleichgesinnte und Mitstreiter fand. Mittlerweile machen sieben Gesangsstudierende bei uns mit und zwei, die Dirigieren studieren. Dann hatten wir eine Pianistin im Team, die eigentlich Orgel studiert. Noch im Team sind eine Bühnenbildnerin, eine Kostümbildnerin, eine Requisiteurin, ein Dramaturg und Elisa und ich. Wir studieren eigentlich alle Theater- und Medienwissenschaften. Dann haben wir noch zwei Maskenbildnerin, eine davon von der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, und eine Frau für die Öffentlichkeitsarbeit. Dann haben wir natürlich noch das Orchester, das setzt sich zusammen aus Studierenden der Hochschule für Musik in Nürnberg, Studierenden aus dem Uniorchester und Musiker:innen von der Jungen Philharmonie Erlangen. Insgesamt sind wir so um die 35 Leute.

V: Wie lief eure Zusammenarbeit mit so vielen verschiedenen Beteiligten dann konkret ab?

Elisa: Vor allem Nick und ich haben uns erst einmal konzeptionell mit dem Ganzen auseinandergesetzt, haben das Libretto gelesen und sind die einzelnen Szenen durchgegangen. Mit der Vorbereitung sind wir dann in die szenischen Proben mit den Sänger:innen gegangen, die schon vorher musikalische Proben hatten. Das ging jetzt ca. 6 Wochen lang und seit letzter Woche kam das Orchester dazu und seit dem Wochenende haben wir das große Ganze zusammengebracht und szenische Proben mit dem Orchester durchgeführt. Im Hintergrund haben dann immer die Maskenbildner, Bühnenbildner etc. nach unseren Anweisungen und Wünschen gearbeitet.

Nick: Basteln ist eigentlich ein ganz gutes Wort dafür, weil am Anfang nur im Kopf eine Idee entsteht, und die ganzen verschiedenen Abteilungen arbeiten zu diesen Vorstellungen etwas aus und am Ende fügt man das dann zusammen. Am Anfang proben hier alle in Jeans und Pullover und nach und nach wird das dann immer mehr „zusammengeklebt“.

V: Das klingt ja jetzt erst einmal alles relativ einfach, ihr habt hier die Möglichkeit, das Experimentiertheater zu nutzen, aber wie finanziert ihr Requisiten etc., bekommen eure Musiker:innnen eine Gage?

Nick: Wir haben eine ganz kleine Anschubfinanzierung von der Uni bekommen und ansonsten haben wir uns lange und intensiv mit der Suche nach Sponsoren beschäftig. Das Ganze hat wirklich auf Messers Schneide funktioniert, sodass die 10.000€ am Ende stemmbar sind. Wir haben kleine Gagen für Sänger:innen und Musiker:innen von der Hochschule, weil die ja auch schon als Studierende vom Musikmachen leben. Die Musiker:innen vom Uniorchester spielen freiwillig, weil sie ja nicht davon leben und wir sind da wirklich sehr dankbar, weil es ohne sie gar nicht möglich gewesen wäre. Den letzten Rest muss dann noch der Kartenverkauf einbringen.

V: Anderes Thema: Warum habt ihr euch für La Bohème entschieden?

Elisa: Da unsere Sänger:innen ja noch im Studium sind, ist auch stimmlich einfach noch nicht alles möglich und man muss auch sehen, wie viele weibliche und männliche Rollen es gibt. Nick, Jonas und ich hatten aber schon vorher beschlossen, dass wir gerne eine Oper von Puccini machen wollen, weil wir seine Musik alle sehr mögen und uns da schon gut auskannten. Von ihm gibt es 12 Opern und zusammen mit den Stimmen der Sänger:innen ist dann die Entscheidung auf La Bohème gefallen.

V: Was ist das Besondere an eurer Inszenierung? Was unterscheidet sie von anderen Inszenierungen von La Bohème?

Elisa: Also bei uns ist es zum einen so, dass wir die ganze Zeit am selben Ort spielen, dass ist im Original anders. Zum anderen ist auch die Sterbeszene am Ende, wenn Mimì, die Hauptfigur, stirbt, anders, da sie im Krankenhaus stirbt und über Video Abschied nehmen muss.

V: Also auch ein moderner Aspekt?

Nick: Zeitgemäß!

Elisa: Wir mögen das nicht so, wenn jemand sagt, das ist „modern“.

Nick: Also mich haben auch oft Leute gefragt, ist das dann eine moderne Inszenierung und dem Wort „modern“ klingt immer etwas Negatives bei, besonders im Regiebereich, weil damit einhergeht, dass man dem Werk etwas wegnehmen würde oder etwas macht, was man nicht dürfte. Wir hatten ja schon das Ziel, das auch so zu inszenieren, dass Leute, vor allem Studierende, die jetzt nicht so oft in die Oper gehen, auch sagen würden: „Cool, das hat mich angesprochen“, aber wir haben nicht deswegen entschieden, ein Handy auf die Bühne zu packen, bei einer Oper, die eigentlich im 19. Jahrhundert spielt. Das hat sich eher einfach angeboten, das hat auch Sinn gemacht, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir während der Konzeption in der ersten Coronaphase waren. Das hat uns natürlich beeinflusst. Wir haben unter anderem eine Dokumentation gesehen von Familien, die nur so Abschied nehmen durften. Da hab ich mir dann die Frage gestellt, würde ich das Risiko eingehen, das auch zu bekommen, wenn meine Mutter da irgendwie im Sterben läge, grade am Anfang der Pandemie, wo man noch nicht wusste, wie schlimm das eigentlich ist. Und wie wäre es, wenn man mir rechtlich verweigern würde, dass ich zu ihr darf? Außerdem ist es so, dass im Originalroman La Bohème die Mimì tatsächlich auch im Krankenhaus stirbt und auch alleine stirbt, also sind wir hier überhaupt nicht modern, sondern eher originalgetreu.

Ein weiterer Unterschied ist, dass wir versucht haben, die Biographien unserer Sänger:innen mit denen der Figuren der Oper zu verweben. Und zwar haben wir anhand von Interviews, die wir mit den Sänger:innen geführt haben, einen Schauspieltext geschrieben, der das Ganze eröffnet und anhand dessen wird quasi klar, dass das Leute sind, die sich in fünf oder zehn Jahren vielleicht unter einer Brücke befinden, weil ihre Kunstträume nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen konnten, weil so was wie eine Pandemie Theater- und Opernhäuser sterben hat lassen. Das Besondere dabei ist: Wir lassen alle auf ihrer Landessprache sprechen. Wir haben Südkoreaner, Brasilianer, Deutsche und eine Russin und die unterhalten sich auf ihren Sprachen und wir tun einfach so, als könnten sie sich verstehen. So kann man einen besseren Zugriff auf die Leute bekommen, die hinter diesem perfekten Opernsänger stehen.

Elisa: Wir haben uns auch Gedanken gemacht über die Armut, die in La Bohème thematisiert wird. Das sind ja eigentlich bettelarme Künstler, die schauen müssen, wie sie was zum Essen bekommen. Da mussten wir ja auch schauen, wie man das übersetzen kann in unsere Zeit oder auch in die Zukunft, weil so wie damals kann man das ja nicht spielen, das ist ja nicht realistisch, dafür, denke ich, haben wir eine ganz gute Lösung gefunden.

V: Ihr habt ja jetzt schon angesprochen, dass ihr das ganze etwas ansprechender und zugänglicher für Studierende machen wolltet. Warum ist denn eurer Meinung nach Oper noch zeitgemäß und interessant für Studierende?

Nick: Worum geht es in einer Oper? In einer Oper geht es grundsätzlich eigentlich immer um sehr starke Gefühle, vor allem Gefühle, die man so nicht nach außen transportieren würde. Deshalb kommen sie uns vielleicht erst einmal total unrealistisch vor. Genau das ist aber auch das Potenzial, das darin steckt. Gerade auch im 21. Jahrhundert, wo man darüber diskutiert: Dürfen Männer weinen oder was treibt jemanden an, eine Person zu töten, und wie kann man das vielleicht verhindern. Dieses Nachaußentragen von ganz heftigen menschlichen Gefühlen durch die Musik, ich glaube, das macht es immer zeitgemäß, da kann man auch ganz viel von sich selbst finden, wenn man sich auf diese radikale Äußerung von Unäußerbarem ist.

V: Zum Abschluss ein Ausblick: Wie seht ihr denn die Zukunft der Oper und des Theaters? Hat die Pandemie etwas verändert? Werden Darsteller:innen als bettelarme Künstler:innen enden oder habt ihr eine optimistischere Sicht darauf?

Elisa: Ich glaube, was man auch durch die Pandemie gemerkt hat, ist, dass die Menschen, sowohl Theaterschaffende als auch Zuschauende, das Theater vermisst haben und viele haben auch gesagt, dass die Onlineformate das Theater nicht ganz ersetzen können, weil das „Live-Ereignis“ wegfällt. Man hat ja auch gesehen, dass, als alles wieder aufgemacht hat, die Theater wieder ausverkauft waren, die Leute waren kulturhungrig und das hat mich wieder optimistisch gemacht. Dadurch wurde deutlich, dass das ein Bedürfnis des Menschen ist. Was aber natürlich so ist, das war auch vor Corona bereits so, ist, dass viele Theaterhäuser, vor allem kleinere, Probleme hatten und geschlossen haben. Das ist natürlich auch eine Frage der Zuschüsse, die das Land oder der Staat dazugibt. Ich glaube jedenfalls nicht, dass in fünf Jahren die Kunst tot ist.

Nick: Ich bin unter anderem dadurch angetrieben, dass ich Angst habe und weil ich davon überzeugt bin, dass, wenn Menschen ein bis zweimal pro Woche ins Theater gehen würden oder gehen müssten – in meiner Fantasie lebe ich in einer „Theaterdiktatur“, jeder Bürger muss mindestens einmal pro Woche ins Theater gehen, aber das ist eine Utopie – das Theater Menschen besser machen kann. Ich habe aber Angst, dass das verloren gehen könnte bzw. eventisiert wird, da merkt man ja schon teilweise Züge davon. Ich glaube, dass die Theaterhäuser viel dafür tun müssen, offen zu bleiben. Ich glaube, dass in der ganzen Theaterwelt die Hochnäsigkeit abgelegt werden muss und man den Hochkulturgedanken etwas neu definieren muss. Andererseits glaube ich aber, dass nichts so viel Kraft haben kann, wie die Energie, die so ein Livetheater haben kann. Ich denke, die Menschen müssten etwas offener dafür sein und sich trauen, sich darauf einzulassen.

V: Vielen Dank für das Interview und toi, toi, toi für die Aufführungen!

Meine Eindrücke aus der Generalprobe

Eine gleichsam trostlose wie lebendige Szenerie. Ein zerschlissenes Sofa. Eine Mülltonne, zum Schlafplatz umfunktioniert. Eine Ansammlung leerer Flaschen hoch- und niederprozentiger Alkoholika. Ein kümmerlich blinkendes Weihnachtsbäumchen.

Der heilige Abend scheint sich für die „Bohème“ anders zu gestalten als erwartet. Die Sänger:innen sprechen in ihren jeweiligen Landessprachen. Das bunte Gemisch verschiedener Sprachen aus aller Welt kann nicht über das triste Thema des einführenden Schauspieltextes hinwegtäuschen: die verlorenen Träume einer jungen Künstlergeneration. Wahre Biographien und Rollen verschmelzen in dieser Inszenierung von La Bohème.

Doch was soll diese Oper eigentlich sein? Ein hoffnungsloser Blick in die Zukunft? Eine Dystopie der Kunst? Steht Kunst, steht Oper vor dem Aus?

Die Antwort, die ich aus einem Abend schillernden Gesangs ziehe, lautet Nein. Vielmehr belehrt uns die mutige Inszenierung der Puccini-Oper eines Besseren. Das gesamte Ensemble überzeugt mit musikalischem Können ebenso wie mit gar nicht so studentischer Souveränität. Über allem steht die Stimmgewalt des Radolfo, Mimì überzeugt neben ihrem Gesang durch feinsten Einsatz von Mimik.

In der Aufführung bewahrheitet sich der Satz des Regisseurs, in der Oper gehe es um starke menschliche Gefühle. Im Laufe des Abends wird das Publikum durch die ein oder andere Interaktion zwischen Sänger:innen und Orchester oder Publikum zum Lachen angeregt. Bei manch einem Lacher fragt man sich zwar, ob dieser so intendiert war, aber egal. Der Gesang – unterstützt durch das Orchester – rührt stellenweise beinahe zu Tränen. An anderer Stelle hält man den Atem an und fragt sich, ob die Rauchmelder auch aus sind, wenn mit Feuer hantiert wird.

Der einzige Kritikpunkt ist wohl die technische Umsetzung mancher Ideen. So ist der Gedanke der verschiedenen Sprachen zwar gut, doch der Text in der Geschwindigkeit teilweise kaum lesbar. Der wohl lustig gemeinte Hintergrund im Café lenkt eher vom Geschehen ab, als der Oper einen Mehrwert zu geben. Mit Sicherheit scheint hier auch das niedrige Budget hindurch. Doch die gelungenen Effekte überwiegen: So verschafft der per Video übertragene Tod Mimìs dem Ganzen eine ungeahnte Aktualität und sorgt für den ultimativen Gänsehauteffekt. Ob positiv oder negativ bleibt hier mal dahingestellt.

Insgesamt ist die Oper sicherlich einen Besuch wert, schon allein um dem Chor von sieben aufstrebenden Opernsänger:innen zu lauschen. Es ist keine Oper, die reinen Unterhaltungswert generiert, so viel ist sicher. Hier wird der Zuschauer vielmehr mal sanft, mal weniger sanft aufgerüttelt.

Wird hier also die Kunst zusammen mit Mimì buchstäblich zu Grabe getragen?

Die Antwort muss jede:r selbst herausfinden. Vielleicht ist es eine Chance, sich einmal auf die Oper einzulassen und etwas Neues zu entdecken.

Wenn ihr Lust bekommen habt, eine Aufführung des Projekts zu besuchen, findet ihr weitere Informationen auf dem Instagramkanal @opernliebe oder hier.

Aufführungen finden am 29.04., 30.04., 05.05. und 06.05.2022 jeweils um 19:30 Uhr statt.

Interview & Rezension: Johanna Neumeier

Beitragsbild: Jonas Schlund