Im besonderen Format einer Rundfahrt im umgebauten Linienbus zeigt die Bürgerbühne Erlangen einen informativen und humorvoll gestalteten Einblick in die Pflegelandschaft der Stadt, erzählt anhand von Expert*innen-Interviews und liebevoll ausgearbeiteten Charakteren.
Es ist heiß im Bus, die Lüftung rauscht laut über den Sitzen. Gerade noch vom Ensemble der Erlanger Bürgerbühne eingeweiht, dass sie auf eine Reise durch die Pflegelandschaft gehen werden, lauschen die Mitreisenden vor Abfahrt als allererstes Michael Mantanan, Pflegekraft an der Uniklinik Erlangen. 2017 sei er von den Philippinen nach Deutschland gekommen und zeigt sich begeistert von der guten Bezahlung, den angenehmen Arbeitszeiten und – Überraschung! – der deutschen Bürokratie. Dann schließen sich die Türen und die Fahrt geht los – einmal quer durch Erlangen, einmal quer durch das Thema „Pflege“. Theater diesmal nicht im Saal, sondern im umgebauten Linienbus.
Es geht um Pflege, um die Frage, was ein lebenswertes Leben ausmacht, und wie Lebensqualität im Alter oder bei Erkrankungen möglichst lange aufrechterhalten werden kann. Beispielhaft wird das an Frau Ruth Hüpfmeier und ihrer Familie erzählt. Frau Hüpfmeier steigt dem Bus zu, und weil sie sich mit ihrem neuen Smartphone nicht auskennt, lässt sie kurzerhand die Mitreisenden mit ihrer aufgebrachten Tochter am anderen Ende der Leitung telefonieren, sie hat wichtigeres zu tun: sie braucht doch eine neue Badematte, die unbedingt aus dem Geschäft Kleinknecht stammen muss. Dumm nur, dass der Bus in die komplett falsche Richtung fährt und der Laden schon seit Jahren zu ist. Bald wird klar: Frau Hüpfmeier zeigt Symptome einer Demenz, und ihre Familie bemüht sich, sich um sie zu kümmern. Die Frage jetzt: Soll zu Hause für sie umgebaut werden, damit sie dort weiter gepflegt werden kann, oder soll sie in ein Heim?
Dass in dieses Projekt viel Liebe und Arbeit geflossen ist, zeigt sich nicht nur in der siebenmonatigen Recherche-Phase und in der Wahl des Formats einer Theater-Rundfahrt, sondern auch in den zahlreichen unterschiedlichen Formen, in denen das Thema des Abends aufbereitet wird. Mehrmals wird auf der Fahrt Halt gemacht, um Charaktere aufzusammeln, oder etwa, um ein Pflegeheim und Frau Hüpfmeiers Privatresidenz zu besuchen. Die Fahrtzeit zwischen den Stationen wird gefüllt mit Spielszenen und Expert*innen-Videos. Mit Sabine Fischer steigt auch eine Mutter zu, die ihren 19-jährigen schwerstbehinderten Sohn pflegt und darüber erzählt.
So werden also die Präsentation von Fakten und Einzelschicksalen als Abbild des großen gesellschaftlichen Ganzen gekonnt mit dem Erzählstrang rund um die charmante Frau Hüpfmeier, gespielt von Ursula Prinz, verwoben. Dabei wird auch klar ein Bild vermittelt, das in den Medien nur selten zur Geltung kommt: Pflege ist nicht nur eine Belastung, sie ist auch mit Positivem verbunden. Ohne vollkommen von den Schattenseiten des Feldes abzulenken (man denke an Pflegekräfte, die schwarz arbeiten, überlastete pflegende Angehörige etc.), wird betont, dass es durchaus Freude bereiten kann, Menschen jeden Alters dabei zu helfen, ihre Unabhängigkeit und Lebensfreude so lange wie möglich zu erhalten.
Das Bürgerbühnen-Ensemble, das sich aus Laien-Darsteller*innen zusammensetzt, hat in der Regie von Dorothea Schroeder auf liebevolle Art und Weise einen Reigen aus Charakteren ausgearbeitet, von denen alle ihre eigene individuelle Geschichte bekommen. Frau Hüpfmeier hat mit Agathe (Rose Ebding) eine Tochter, die sich mit viel Aufopferung um sie kümmert, einen Markenklamotten tragenden Ignorant von Sohn mit Konrad (Sabine Rosteck) sowie mit Helmuth (Frank Wolter) einen eifrigen Sohn, der es kaum erwarten kann, handwerklich tätig zu werden. Helmuths Frau Gisela (Marianne Berendes) ist allseits eher unbeliebt mit ihrer bestimmenden Art und Marlene Senska gibt eine liebenswerte Enkelin. Komplettiert wird die Runde von der herzlichen Nachbarin Tanja (Katja Bruns), dem (un)bestechlichen Krankenkassenmitarbeiter Victor (Maxim Melnikoff) und dem schwer in Frau Hüpfmeier verknallten Paketboten Emil-Heinrich (Jochen Preuß).
Von Sandra Dehler in Kostüme mit viel Grün – Farbe der Hoffnung, des Lebens – gehüllt, entspinnen sie eine humorvolle Geschichte. Großes Highlight des Abends ist die Ensembleszene an Station zwei, wo dem Publikum ein Blick ins Wohnzimmer von Frau Hüpfmeier gewährt wird. Alle Charaktere kommen zusammen und der Versuch, die gute Frau Hüpfmeier mit einem Pflegegrad zu versehen scheitert in bester Slapstick-Manier.
An der letzten Station, dem Verein Dreycedern e.V. am Altstädter Kirchenplatz, gibt es abschließend die Gelegenheit, sich im Publikumsgespräch mit Expert*innen des Vereins zum Punkt pflegende Angehörige und Betroffene mit Demenz auszutauschen, und dem Ensemble weitere Fragen zu stellen.
Ja, Pflege ist ein vielschichtiges Thema, und ja, es läuft in Deutschland nicht alles rund diesbezüglich. Sie hat aber im besten Falle wenig damit zu tun, Betroffene in einem Heim im geschützten Bereich allein einzusperren und versauern zu lassen, sondern reflektiert, was dieser Abend zeigt: Sie hat zum Ziel, das Leben für Individuen positiv zu gestalten.
„Mit der Bürgerbühne durch die Pflegelandschaft“
am Theater Erlangen
Regie: Dorothea Schroeder
Bühne & Kostüme: Sandra Dehler
Theaterpädagogik: Julian Struck
Dramaturgie: Veronika Firmenich
Regieassistenz: Camilla Schneider
Busfahrer: Christian Löbner
Besetzung: Ursula Prinz, Rose Ebding, Sabine Rosteck, Frank Wolter, Marianne Berendes, Marlene Senska, Katja Bruns, Maxim Melnikoff, Jochen Preuß
Expert*innen & Unterstützer*innen: Katrin Affa, Helga Allen, Helga Bieberstein, Tanja Dittrich, Claudia Gall-Kayser, Julia Hesel, Felicitas Keefer, Frau Löw, Hilde Müller, Dinah Radtke, Laura Scheer, Michaele Weisel, Dr. Caroline Hack (Leitung Stabstelle Klinische Ethik), Velislava Marinova-Schmidt (Verein Creyceder e.V.), Jessica Schönstein (Pflegestützpunkt Erlangen)
Weitere Informationen hier.
von Svenja Plannerer
Titelbild & Bilder im Text von Julian Struck