Martina Gredler transportiert die Komödie “Jeeps” von Nora Abdel-Maksoud von München nach Nürnberg. Im Stück wird die “Eierstocklotterie” zu einer echten: Statt von Familienmitglied zu Familienmitglied wird jetzt per Verlosung geerbt. Unsere Autorin Carlotta schreibt hier über den turbulenten Schlagabtausch auf der Bühne.

Hellbraune Holzvertäfelung, glattpoliert, keine Fugen oder Kanten zum ablenkenden Hineinverlieren. Ein einzelner Stuhl in der Mitte des Raumes, einfaches Büromodell. Das Bühnenbild von “Jeeps” weckt Erinnerungen an scheinbar endlos verbrachter Zeit auf deutschen Ämtern. Assoziationen von Stunden über Stunden Wartezeit in unscheinbaren Wartezimmern und aufkommende Frustration über nicht Bekommen des sehnlichst erwarteten Termins.

Das Jobcenter: Wegbereiter und Wegbegleiter. Im Theaterstück “Jeeps”, einer Komödie von Nora Abdel-Maksoud unter der Regie von Martina Gredler, wird der sonst so geregelte Alltag eines Beamten im Jobcenter gehörig durcheinandergebracht. „Knicken, Lochen, Abheften“ muss unterbrochen werden, denn eine Kundin, alias „fränkische Kim Kardashian“ kann nicht durch einen schnell abgelehnten Antrag abgewimmelt werden, trotz eines vorhandenen Rechtschreibfehlers im Formular!

V.l.: Silke (Pola Jane O’Mara), Gabor (Aydın Aydın), Maude (Adeline Schebesch) und Armin (Thomas Nunner) (Foto: Konrad Fersterer).

„Bitte keine Zartgefühle“ wird zu Beginn des Stücks gefordert. Bitte keine Zartgefühle aufkommen lassen, wenn die porträtierte Hartz-IV Empfängerin Maude (Adeline Schebesch) von ihrem Bildungsregelsatz von 1,12€ klagt, welchen sie allerdings bereits heute Morgen beim Bäcker für ein Teigteilchen aufbrauchte. Bitte keine Zartgefühle, wenn Beamter Gabor (Aydın Aydın) Anträge aufgrund von Rechtschreibfehlern und des boshaften Fugen-s ablehnt und den Betrag des Pfandsammelns vom monatlichen Grundsatz abzieht. Und bitte, bitte ja keine Zartgefühle, wenn aufgrund Platzmangels die Kinder der Arbeitssuchenden jetzt die Anträge abgeben müssen. Denn Kinder könne man ja auf den Sitzen stapeln. Aber Mitleid mit den Beamt*innen, das ist wiederum erlaubt. Bis 16 Uhr wurde neulich gearbeitet und manchmal sogar im Schichtdienst!

Wie das sich ständig drehende Bühnenbild, so verändert sich auch ständig die Hierarchie unter den Beamten und Empfängerinnen. Mal wird sich über die Oberschicht mit ihren Allüren und Gentrifizierungen lustig gemacht, mal über die Sozialhilfe-Empfänger*innen und mal auch über die die Beamt*innen des Arbeitsamts selbst. Die Reichen strengen sich an, arm zu wirken und die Armen versuchen alles, um Reichtum auszustrahlen. Der mühsam angesparte Geländewagen des Sekretärs, ein schwarzer Jeep, wird als reine Penisprothese gesehen und die frisch enterbte Silke (Pola Jane O‘Mara) musste in ihrer Kindheit auch mal Brot ohne Butter essen.

Das Bühnenbild von Sophie Lux in Bewegung (Foto: Konrad Fersterer).

Ein Schlagabtausch der Pointen, Anspielungen und Witze entsteht durch den immer wandernden Lichtschein der Scheinwerfer und das turbulente Spiel aus Rückblenden und Gegenwart. Erbin Silke und Harzt-IV Empfängerin Maude lernten sich in der Wartehalle des Arbeitsamts kennen, kurz nach Inkrafttreten der neuen Erbrechtreform. Das Erbe der Bewohner*innen Deutschlands wird künftig per Losverfahren unter den Sozialhilfe-Empfänger*innen verteilt, so dass die Gewinner der „Eierstocklotterie“ auf das Erbe ihrer Familien verzichten müssen. Silke und Maude schmieden gemeinsam einen Plan, um Silkes Erbe zu retten. Silke beteuert zwar unentwegt, sie sei nicht reich, denn das Ferienhaus am Strand und die Fünf-Zimmer-Wohnung über der Pegnitz schlucken eigentlich viel mehr Geld als sie an Miete wieder einnehmen kann. Gemeinsam treten Silke und Maude dem Beamten Gabor und Armin (Thomas Nummer) gegenüber und fordern mit einer Waffe Silkes Erbrecht. Maude fordert gleich auch noch 8€ Regelsatz mehr im Monat, obwohl Beamter Gabor einen Tagessatz von 4,86€ für Essen durchaus ausreichend findet. Am Ende wendet sich jedoch das Blatt und Verbündete werden zu Feinden und Feinde zu Verbündeten. Ende gut alles gut ist nicht, aber wenigstens ist die Ordnung im Beamtenalltag wieder hergestellt!

Blitzschnell und andauernd ändern sich die Geschicke (Foto: Konrad Fersterer).

Besonders amüsant ist das Stück für alle aus Nürnberg stammenden Besucher*innen. Zahlreiche Witze drehen sich rund um die fränkische Tradition und die Nürnberger Bewohner*innen mit ihrem „Bratwurscht Imperialismus“.

Dass die Agentur für Arbeit direkt gegenüber des Schauspielhauses liegt, ist hierbei natürlich von Vorteil. Denn wie auch das Stück selbst ist es wahnsinnig paradox, dass sich der Jobcenter direkt gegenüber einer elitären Institution wie der des Staatstheaters befindet. Bei einem Regelsatz von 1,12€ für Bildung ist es eine utopische Vorstellung, dass Sozialhilfe-Empfänger*innen sich eine Theaterkarte ab 10€ aufwärts leisten können. Inzwischen sind es 1,81€ für Bildung, also vielleicht dauert es jetzt nur neun statt zehn Monate, um darauf zu sparen.

“Jeeps” von Nora Abdel-Maksoud

am Staatstheater Nürnberg

Regie: Martina Gredler

Bühne: Sophie Lux

Kostüme: Moana Stemberger

Dramaturgie: Konstantin Küspert

Musik: Vera Mohrs

Besetzung: Pola Jane O’Mara, Adeline Schebesch, Aydın Aydın, Thomas Nunner

Mehr Infos und Tickets findet ihr hier.

von Carlotta Leitner

Beitragsbild & Fotos im Text: Staatstheater Nürnberg/Konrad Fersterer