Unter dem Hashtag #freethenipple protestieren zahlreiche Künstler*innen gegen die Zensur weiblicher Brustwarzen auf Instagram. Denn diese werden, im Gegensatz zu ihrem männlichen Äquivalent, in den sozialen Netzwerken nur selten ohne schwarzen Balken oder Verpixelung gezeigt. Währenddessen ist es für Männer üblich, unzensiert oberkörperfrei zu posieren, ohne die Befürchtung zu haben, das Bild könnte blockiert werden.

 

Viele kreative Instagramnutzer*innen finden immer wieder Möglichkeiten, weibliche Nippel in den Feed zu schmuggeln, ohne dass Instagram dagegen vorgehen könnte. So werden Nahaufnahmen von Brustwarzen gepostet, wodurch sich nicht sagen lässt, ob diese zu einem männlichen oder weiblichen Körper gehören. Zudem findet man Bastelanleitungen, mithilfe derer es ein Leichtes ist, den Nippel einer Frau durch den eines Mannes zu ersetzen.

Doch nicht nur auf Instagram wird dieses Thema heiß diskutiert. Auch in der Debatte um das Stillen in der Öffentlichkeit wird deutlich, dass der nackte Oberkörper einer Frau einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat als der eines Mannes. Denn immer wieder hört man Berichte von Müttern, denen das Stillen an öffentlichen Orten untersagt wurde, da dies die Anwesenden störe. Für mich stellt sich dabei die Frage, warum solche negativen Reaktionen nur auf das Zeigen der weiblichen Brust folgen. Sind männliche und weibliche Nippel wirklich so verschieden?

Anatomisch gesehen ist die Antwort darauf klar: Nein. Denn die Brustwarzen eines Embryos werden in einem Stadium der Schwangerschaft gebildet, in dem sich männliche und weibliche Embryonen gleich entwickeln und sich nur chromosomal voneinander unterscheiden.

Logischerweise müsste man also zu dem Schluss kommen, dass es nicht der Nippel ist, der bei der Frau Aufsehen erregt und beim Mann nicht, sondern die weibliche Brust selbst. Denn diese unterscheidet sich (zumindest meistens) augenscheinlich deutlich vom männlichen Oberkörper. Von der biologischen Perspektive aus betrachtet, sind die männliche und die weibliche Brust jedoch auch gar nicht so unterschiedlich, wie allgemein angenommen. Zwar entwickeln sich die Brüste einer Frau durch ihre spezifischen Hormone meist weiter als die der Männer, jedoch besitzen auch diese Milchdrüsen, die, wenn durch einen Säugling stimuliert, Milch produzieren können.

Außerdem handelt es sich selten um die Brust selbst, die als anstößig wahrgenommen wird, sondern meistens eben um den Nippel. Das, was den visuellen Unterschied ausmacht, die Wölbung des weiblichen Busens, ist nicht der Rede wert. Erst wenn die Brustwarze zu sehen ist, entsteht ein Skandal. Wenn sich also sowohl der Nippel als auch die Brust beider Geschlechter kaum voneinander unterscheiden, warum dürfen Frauen sich dann in der Öffentlichkeit nicht oben ohne zeigen?

Die Antwort auf diese Frage hängt eng mit der Bedeutung des weiblichen Körpers in unserer Gesellschaft zusammen. Geprägt durch die Sexualisierung und Objektivierung der Frau ist es bei uns üblich, eine nackte oder auch nur spärlich bekleidete Frau mit Sexualität zu verbinden. So sehen viele Männer (und teilweise auch Frauen) den weiblichen Körper als etwas Sexuelles an, was er per se aber nicht ist. Eine nackte Frau ist eine nackte Frau. Nicht mehr und nicht weniger.

Was sich der Betrachter denkt, wenn er diese sieht, das liegt an ihm und ist etwas rein Subjektives. Und es ist auch keinesfalls naturgegeben, dass der Anblick eines nackten Busens bei Männern sexuelle Gedanken auslöst. In vielen Naturvölkern ist es ganz normal, dass auch die Frauen im Alltag oberkörperfrei sind, ohne dass die männlichen Stammesangehörigen etwas daran anstößig fänden. Sie würden die Versessenheit der westlichen Welt auf die erotische Natur der Brust vermutlich als einen Fetisch abtun. Die westliche Welt hat einen Brustfetisch.

Weil aber der männliche und der weibliche Körper gleichwertig sein müssen, wenn eine vollkommene Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht werden soll, muss ein radikales Umdenken stattfinden. Die Gesellschaft muss erkennen, dass der weibliche Körper seinen eigenen, nicht-sexuellen Wert hat, genau wie der männliche. Brüste, und vor allem Nippel, sollten als das angesehen werden, was sie sind: Ein Teil des Körpers. Daran ist nichts Anrüchiges, nichts Erotisches, nichts Sexuelles.

Um diese Denkweise zu überwinden, müssen sich Frauen und andere Menschen mit Brüsten gegenseitig unterstützen. Wenn genug Menschen immer wieder ihre nackte Brust samt Nippel zeigen (und zwar in einem nicht-sexuellen Kontext), kann der weibliche Körper einfach als Körper und nicht als Sexualobjekt angesehen werden. Durch die Befreiung der Nippel kämen wir als Gesellschaft der Gleichstellung somit ein ganzes Stück näher. Um mit einem Zitat von Maya Angelou zu schließen: „What you’re supposed to do when you don’t like a thing is change it“.

 

Von Florentine Haack