Nils Corte und Philipp Löhle präsentieren einen Science-Fiction-Noir-Krimi, der gänzlich in einer virtuellen Realität spielt. Die Geschichte ist nichts Neues, der Modus der Präsentation dafür ein Abenteuer für sich.

19:15 Uhr – eine eher ungewöhnliche Zeit für eine Premiere. Sonst beginnen diese ja eher zur vollen oder halben Stunde, allerdings stellt sich schnell heraus, wofür diese seltsame Viertelstunde nötig ist: „Symmetrie“, als Theaterstück, das in einer virtuellen Realität spielt und gespielt wird, benötigt nämlich eine Art Onboarding-Prozess. Dramaturg Fabian Schmidtlein erzählt den Besucher:innen, was sie an diesem Abend im XRT, dem „Extended Reality Theater“ im dritten Stock des Schauspielhauses am Staatstheater Nürnberg erwartet. Dabei ist seine Einweisung eher technischer als inhaltlicher Natur.

Spannend wird es zum ersten Mal, sobald das Publikum endlich das XRT betreten darf. Zwölf Leute passen hinein, so viele VR-Brillen stehen zur Verfügung. Die meisten davon hängen von der Decke des kaum erleuchteten Raumes, lassen an Welten wie Star Trek denken. Als wären die Zuschauer:innen alle Borg-Drohnen einer Schwarmintelligenz, die sich über die Brillen ins Kollektiv einklinken. Was sich XRT-Leiter Nils Corte und sein Co-Autor Philipp Löhle hier wohl ausgedacht haben mögen?

Das Publikum klinkt sich über VR-Brillen ins Geschehen ein (Foto: Konrad Fersterer).

Sobald man die Brille überzieht, versteht man auch, warum es in eine virtuelle Realität „eintauchen“ heißt: Sofort wird man in den Steuerraum eines Raumschiffes versetzt, der in seiner Videospiel-Optik so wirkt, als könnte man ihn greifen. Während von außen Techniker:innen noch ein paar technische Einzelheiten erklären, die Hände des Publikums an die entsprechenden Stellen führen – hier am Rädchen drehen, um die Linsen scharf zu stellen; da drücken, um die Lautstärke der Kopfhörer zu justieren – ergibt sich bereits die erste Inkongruenz. Was das Auge sieht, und das Ohr hört prallt hier dissonant aufeinander. Apropos Auge und Ohr: Nicht umsonst gibt es bei Schmidtleins Einführung eine Warnung vor Übelkeit. Die Signale der Gleichgewichtsorgane und des Sehsinns passen, ähnlich wie bei der Reisekrankheit, nicht zueinander und können schon mal zu eher unangenehmen Körperreaktionen führen. Dafür ist das Personal allerdings gewappnet und steht allen Anwesenden mit Rat und Tat zur Seite.

Android Marvin (links, gespielt von Elina Schkolnik) begleitet Ermittlerin Phyllis Marlow (rechts, gespielt von Sasha Weis) (Bild: Nils Corte).

Sobald geht es dann auch endlich los mit dem virtuellen Abenteuer. Elina Schkolnik begrüßt als charmanter, witzereißender und generell von den Menschen faszinierter Android Marvin das Publikum. Er erklärt: Wir befinden uns in einer Zukunft, in der die Menschen (oder FirstGens) von ihren genetisch modifizierten Gegenspieler:innen (GMs) beherrscht werden. Nachdem nun ein Mitglied einer FirstGen Widerstandsorganisation eine Fleischfarm der GMs gesprengt hat, begleitet Marvin die FirstGen Spürnase Phyllis Marlow, um den Mord an ebenjenem Feuerteufel aufzuklären. Sasha Weis verleiht Marlow dabei das typisch ruppige Auftreten, wie man es von alten Hasen der Ermittlung gewohnt ist. Als dritter im Bunde erteilt Janning Kahnert als Commander Reyes den beiden den Auftrag: findet den:die Schuldige:n! Im Folgenden schlüpfen die drei gelegentlich in andere Rollen, spielen die Klischees des Noir-Krimis auf und erwecken schrullige Charaktere zum Leben, wie man ihnen auch bei Star Wars in der Cantina Bar auf Tattooine begegnen könnte. Dabei nehmen die Figuren das Publikum mit an die verschiedensten Orte: Raumschiff-Hangars, neon-erleuchtete Mega-Cities, einen exklusiven Club, ja sogar in die „Stadt über den Wolken“, in der die GMs leben, und die einem per VR-Brille weismacht, man schwebe in weißem Nebel.

Die Story und die Figurenkonstellation an sich sind nun sicher nichts Revolutionäres, aber der Fokus liegt weniger auf ihnen als auf der Art, wie sie präsentiert werden. Auch hiervor hat Schmidtlein anfangs gewarnt: Wer der Geschichte wirklich folgen will, sollte sich nicht zu sehr von der Virtual Reality ablenken lassen. Schwierig, wo es doch so viel zu entdecken gibt, besonders, wenn das Publikum gebeten wird, den Darsteller:innen bei einer Aufgabe zu helfen. Wer Spaß an Videospielen hat, dem könnte das gut gefallen.

Das Publikum bekommt die Darstellenden nur virtuell als ihre verschiedenen Charaktere oder über eine Ecke einer Leinwand zu Gesicht (Foto: Konrad Fersterer).

Spannender als das Geschehen in der VR-Brille allerdings ist es, zu beobachten, was außerhalb dieser im XRT selbst geschieht. Dabei muss man von der Handlung gar nichts verpassen, diese bleibt über eine Leinwand verfolgbar. Und links oben in der Ecke dieser Leinwand passiert das Interessanteste des ganzen Abends: Hier kann man Schkolnik, Weis und Kahnert dabei zusehen, wie sie spielen, vom Publikum mittels eines schwarzen Vorhangs getrennt. Ebenfalls mit VR-Brillen ausgestattet, mit Controllern in den Händen und in 80s-Trainingsanzüge gehüllt geben sie dort alles. Teilweise ergeben sich beim Abgleich der VR und der analogen Realität absurd-witzige Bilder. Während etwa auf der Leinwand ein Charakter den anderen würgt, stehen die Darsteller:innen etwa zwei oder drei Meter auseinander und berühren sich nicht einmal. Ein schönes Beispiel dafür, wie befremdlich KI und VR-Technik bei aller Bemühung um Immersivität doch wieder sein können – unsere virtuellen und analogen Welten verschmelzen zunehmend, und decken sich doch glücklicherweise nicht.

Wer also Lust hat, eine interessante technische Spielerei zu entdecken, oder eine erste Erfahrung mit Virtual Reality zu machen, und dafür auch bereit ist, die inhaltliche Substanz für einen Abend außen vor zu lassen, ist hier sicherlich an der richtigen Adresse. Man sollte vielleicht nur dran denken, Reisekaugummis gegen Übelkeit mitzubringen – vorsichtshalber.

Symmetrie (UA) von Nils Corte, Co-Autor Philipp Löhle

im XRT am Staatstheater Nürnberg

Regie: Nils Corte

Co-Regie: Lena Rucker

Creative Coding: Phil Hagen Jungschlaeger

3D-Design: Nils Gallist

XR Performance Berater: David Gochfeld

Dramaturgie: Fabian Schmidtlein

Besetzung: Janning Kahnert, Elina Schkolnik, Sasha Weis

Dauer: 90 Minuten, keine Pause

Mehr Informationen und Tickets findet ihr hier.

von Svenja Plannerer

Titelbild & Bilder im Text: Staatstheater Nürnberg/Konrad Fersterer & Nils Corte