Abnehmen ohne einen nachhaltigen Wandel des persönlichen Lebensstils – das versprechen die Produkte der in die Kritik geratenen Marke More Nutrition. Am trotz allem anhaltenden Erfolg haben auch Influencer:innen einen Anteil, darunter auch Rezo. Zerstört er jetzt seinen größten Werbepartner?
Jan Böhmermann hat es wieder einmal geschafft, sich Feinde zu machen. In diesem Fall: die Hype-Marke More Nutrition, welche Nahrungsergänzungsmittel und Zuckerersatzprodukte anbietet. Das Versprechen: Für viel Geld einen gesunden Lebensstil erkaufen können, ohne wirklich was zu ändern.
Die gesundheitlichen, rechtlichen und verbraucherschutzaspektlichen Problematiken hinter den Produkten und dem Marketing wurden in den vergangenen Wochen bereits zur genüge beleuchtet. Ein großer Punkt wurde aber in der Debatte bisher nur angeschnitten: die Partnerschaft des Unternehmens mit dem YouTuber Rezo.
Rezo wurde 2019 mit seinem Videoessay Die Zerstörung der CDU einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Seitdem genießt er im Mainstream den Ruf, eine Ausnahmepersönlichkeit der Onlinewelt zu sein – eine Art Anti-Influencer, der vernünftig recherchiert sowie sinnvolle und qualitativ hochwertige Inhalte produziert. Rezo, der rundum redliche Retter: Dieses Image kultiviert er auch selbst gerne, indem er oft der Erste ist, der sich zu kritischen Themen äußert. Aber von irgendwas muss er ja leben und immerhin trägt er dadurch weitaus mehr zum Zusammenleben bei als gewisse andere Online-Persönlichkeiten.
Apropos von irgendwas leben: natürlich muss auch ein Rezo ab und zu mal was essen. Wie wir in und vor allem unter seinem 90-Tage Body Transformation Video (zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie Wikipedia und fragen Sie Ihre:n Psychiater:in oder Psychotherapeut:in) erfahren, konsumiert Rezo vor allem Proteinshakes und Chunky Flavour der Marke More Nutrition. Der Grund: naja, weil man damit so super abnehmen kann – sagt Rezo. Weil er von More Nutrition bezahlt wird – sage ich. Abgesehen davon, dass Chunky Flavor besch…eiden schmeckt, hat Rezo nämlich einen Rabattcode bei More Nutrition und zeitweise sogar eine eigene Geschmackssorte des Produkts. Eine Kollaboration also. Keine Frage, dass das Ganze für beide Seiten eine lukrative Partnerschaft sein muss.
Nun kann man Rezo mit Blick auf die aktuelle Kontroverse natürlich zugutehalten, dass er immerhin nicht für Nahrungsergänzungsmittel wirbt, sondern für Zuckerersatz. Allerdings lässt sich Rezos Rabattcode auch auf die Nahrungsergänzungsmittel anwenden, sodass er vom Verkauf dieser genauso profitiert wie vom Zuckerersatz.
Abgesehen davon ist auch Chunky Flavor nicht unbedenklich. So sagt das Unternehmen auf seiner Website, dass man es auch zum Backen verwenden könne. Das Problem? Chunky Flavor enthält Sucralose, einen Süßstoff, der sich beim Erhitzen über 120°C (eine Temperatur, die beim Backen oft um Einiges überschritten wird) in krebserregende Stoffe zersetzen kann. Das Bundesministerium für Risikobewertung rät deshalb davon ab, Sucralose zu erhitzen. Ganz nebenbei können Süßstoffe bei einigen auch zu Verdauungsproblemen oder Heißhunger führen. Und ob sie nicht doch auch Diabetes begünstigen können, ist auch noch nicht abschließend geklärt.
Ganz abgesehen davon, dass sich ein großer Teil des Marketings seitens des Unternehmens auf Angst und Unsicherheit stützt: Chunky Flavor wird explizit als ideal zum Abnehmen beworben. Wer sich das Produkt im Webshop ansieht, muss nicht lange scrollen, bis er oder sie auf eine Leiste mit Beiträgen stößt, die “Erfolge aus der Community” zeigen soll. Man sieht hier Vorher-Nachher-Vergleiche (!) von Frauen (!!), die anscheinend mit Hilfe des Produktes abgenommen haben. Teilweise noch untermalt von konkreten Zahlen. Und das, obwohl sie oft in den Vorher-Bildern ganz normal aussehen. Wer sich einmal mit den Themen Essstörung, verzerrter Körperwahrnehmung oder Thinspo (Inspiration zum Abnehmen unter Essgestörten, häufig in Bild- oder Videoform) auseinandergesetzt hat, weiß hoffentlich, wie problematisch so etwas sein kann.
Wohlgemerkt: Ich sage nicht, dass Gewichtsreduktion grundsätzlich zu verteufeln ist. In einigen Fällen ist sie sogar (dringend) notwendig. So etwas sollte allerdings auf die gleiche Art und Weise festgestellt werden, wie die (Un-)Notwendigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln, nämlich von einem Arzt. Völlig unqualifiziert in derartigen Gesundheitsfragen ist hingegen eine Industrie, die vor allem eines will: Geld um jeden Preis. Auch, wenn dieser Preis die (mentale) Gesundheit der Kund:innen ist.
Dass ausgerechnet Rezo, der sich auf seiner Plattform gerne für Frauen stark macht, für ein solches Produkt wirbt, ist meiner Ansicht nach hochproblematisch. Die Marketingtaktiken, die More Nutrition hier nutzt, zielen vor allem auf Frauen und sie tragen auch den größten Schaden davon: Etwa 61 von 1.000 Frauen haben eine Essstörung. Zum Vergleich: bei den Männern sind es nur 18 von 1.000. Vom Schaden in den Geldbeuteln, der durch die hohen Preise von More Nutrition-Produkten entstehen kann, mal ganz zu schweigen.
Und was tut der große Zerstörer? Nun ja… Nicht viel, außer seinen regelmäßig stattfindenden Livestream nach Veröffentlichung des Böhmermann-Beitrags abzusagen.
Zwar hat Rezo bereits Anfang Oktober ein Video zu der Kritik an More Nutrition veröffentlicht. Dieses setzt sich jedoch nicht mit der grundsätzlichen Problematik hinter den Produkten und dem Marketing von More Nutrition auseinander. Von einem Anti-Influencer und “Zerstörer der CDU” wie Rezo, der immer wieder gerne auf Missstände hinweist, hätte ich zu diesem Zeitpunkt längst ein Statement oder eine Distanzierung von der Marke erwartet.
Natürlich ist es gut möglich, dass Rezos Vertrag mit More Nutrition ihm eine kritische Auseinandersetzung schlichtweg nicht erlaubt und die Auflösung nunmal Zeit in Anspruch nimmt. Doch Rezos Statement vom Oktober wirkt auf mich wie eine Verteidigung des Unternehmens und der für Rezo lukrativen Partnerschaft unter dem fadenscheinigen Deckmantel einer kritischen Auseinandersetzung. Dass er die Kritik damals in einem Livestream indirekt als Verschwörungsideologie bezeichnete, hilft da auch nicht wirklich.
Während Jan Böhmermann sich also dem (noch wichtigeren) Thema Pressefreiheit zuwendet, hat Rezo inzwischen (nach Verfassen dieses Kommentars) auf die Kontroverse reagiert – unter anderem, indem er sich aus der Werbepartnerschaft mit More Nutrition zurückgezogen hat, was in meinen Augen die einzig richtige Konsequenz ist. Dennoch: der windige Nahrungsergänzungmittelhersteller wird sich leider mit seinem Angstmarketing und der Falschinformation seiner Kunden weiterhin eine goldene Nase verdienen. Daran kann auch Rezo nichts ändern. Letzten Endes ist er ein Mensch, der einen Fehler begangen hat – schon alleine, indem er die Kooperation mit More Nutrition überhaupt eingegangen ist. Aber wie heißt es so schön: irren ist menschlich. Das gilt für uns alle genauso wie für Rezo.
von Cassandra Haas
Titelbild: Renzo