…die Schulzeit fällt dir wieder ein. – Manchmal fällt der Abnabelungsprozess von der Schulzeit und der Übergang ins Studium nicht so leicht. Autorin Madita berichtet über ihre Erfahrungen zwischen Schwelgen in Schul-Nostalgie und dem Aufbau einer neuen Identität als Studentin.

Es ist Freitagnachmittag. Euphorisiert greife ich nach meinem Handy, öffne Google, tippe hastig die ersten zwei Buchstaben meiner ehemaligen Schule ein und warte ungeduldig, bis ihre Homepage unter meinem LieberKundeabjetztsurfenSiemitreduzierterGeschwindigkeit-Datenvolumen endlich geladen ist. Mit Vorfreude in den Fingerspitzen scrolle ich nach ganz unten, wo sich zwischen Stellenausschreiben und Schulportal verheißungsvoll das Banner unserer Schulzeitung entfaltet. Ich klicke hastig darauf – das PDF bleibt schwarz – ich gehe zurück – ich klicke genervt darauf – das PDF bleibt schwarz – ich gehe zurück – ich klicke unruhig darauf – da ist es endlich, das Mitteilungsblatt.

Mit Wärme im Bauch verschlinge ich die Vorstellungen der neuen Referendar:innen, überfliege den Bericht über den Ausflug der Schulsanitäter:innen und lese den Ausschnitt der Tageszeitung in der Kategorie ,,Das Letzte‘‘ an – beste Boomer-Lokalsatire, die ich zweifelslos dem Einfluss unseres (ihres?) Schulleiters zuordne.

Ich gebe zu, ich habe den Absprung aus der Schulzeit bisher nicht wirklich geschafft. Möchte ich mich dazu motivieren, endlich mit der Abgabe für das Seminar zu beginnen, lese ich Blogposts von 2017 auf den Bookstagramseiten meiner Freundinnen und mir über ein vorzubereitendes Französischreferat, morgens im Bus höre ich zwischen Satch-Rucksäcken und Lateinvokabelabfrage meine Playlist ,,pausenhof <3‘‘, und abends wiederhole beim Abtrocknen der Teller mit Zewatüchern, weil schon wieder alle Handtücher in der Wäsche sind, sämtliche Schulszenen aus Never Have I Ever oder H2O.

Und damit scheine ich nicht alleine zu sein. Sitze ich mit meinen Kommiliton:innen in den Hörsälen drehen sich viele Gespräche um die Wühlmauspräsentation in der siebten Klasse und wir sprechen immer noch von ,,doppelter Doppelstunde‘‘, wenn wir unseren dreistündigen Vorlesungsblock betrachten. Eine Schulfreundin, die bereits ein Jahr länger studiert als ich, zieht immer noch regelmäßig Parallelen zwischen ihren Dozierenden zu unseren Lehrkräften, und bei den Spielabenden mit unsere Schulfreundesgruppe in den Wohnzimmern unserer Eltern geht es viel um Ereignisse in den Leben unserer Mitschüler:innen im Jahr 2018.

Aus einer Mischung von Bauklötzen aus Netflix-Serien, TikToks und eigenen Erfahrungen baue ich mir Inseln mit rosarotem Sonnenuntergang und blauem Meer, ganz ohne Hektik zwischen der Englisch-, Geschichts-, und Bioklausur innerhalb von vier Tagen, Bauchweh am Sonntagabend und Selbstwerterosion durch erniedrigende Lehrerkommentare.

Und das ist auch vollkommen okay – zwischen verzweifelter Raumsuche, durch die ich eine halbe Stunde zu spät in die Statistikvorlesung stürme (das Gebäude ,,Alte Mathematik‘‘ sollte mal einen neuen, geläufigeren Namen bekommen, Haus Hildegard etwa, wie an meiner ehemaligen Schule, wäre deutlich besser geeignet), neuen Gesichtern, akademischen Herausforderungen und Einsamkeitsnuancen beim Nudeln-mit-Pesto-Dinner am Küchentisch kann es sehr gut tun, zu selektiert wohltuend Bekanntem zurückzurudern. Dabei ist Schule auch der Ankerpunkt für ganz viele Erfahrungen, die nicht direkt mit ihren Hallen in Verbindung stehen, sondern mit diesem Lebensabschnitt zwischen 14 und 19 – Freundschaft, Geborgenheit und sonntägliches gemeinsames Abendessen.

Selbstverständlich machte auch die Schule an sich für 13 Jahre einen großen Anteil meiner Identität aus. Sie war spätestens in der Oberstufe der Ort, an dem ich oft mehr Zeit verbrachte als Zuhause, wo ich zahlreiche prägende Erfahrungen in relevanten Lebensbereichen sammelte, und deren Figuren auf diese Weisen irgendwie in das familiäre Personenrepertoire hereingerutscht sind. Als mein Log-In für das Schulportal kurz nach meinem Abitur nicht mehr funktionierte, war ich beinahe verletzt – wir Abiturient:innen, doch ein Teil dieser Gemeinschaft, wurden einfach abgeschrieben. Thank you, next.

Nun hier, in meinem neuen Dasein als Studentin, muss ich erst einmal neue Identitätsanteile entdecken und entwickeln – und gleichzeitig dürfen die Erfahrungen in der Schule Teil meiner Identität bleiben.

Dabei ist es aber auch okay, wenn etwas außerhalb des Schulkontextes einfach nicht mehr passt. Alleine Wikipedia-Artikel über Persönlichkeiten, die in einer Vorlesung aufkreuzen zu lesen, ist einfach nicht das gleiche wie nach dem Geschichtskurs mit Freundinnen in den toxisch-patriarchalen Liebesbeziehungen von Georges Clemenceau zu stöbern. Zudem sind einige meiner Freund:innen gerade mit ganz anderen Erfahrungen als den meinen konfrontiert und beschäftigt – da kann auch etwas auseinandergehen, was entscheidend durch das gemeinsame Erleben zusammengeschweißt war. Solche Erkenntnisse zu gewinnen, tut weh – aber es darf uns nicht davon abhalten, neue Erfahrungen an uns heranzulassen, weiterzugehen, als bloß das Alte im Neuen zu suchen.

Zudem ist die Universität meiner bisherigen, kurzen Erfahrung nach gar nicht so unpersönlich und anonym, wie einem immer von außen suggeriert wird. Es entwickelt sich, um es mit den Worten der Alumni der FAU auszudrücken, ein kleines Stückchen ,,We are Family‘‘.

Ein wenig Romantisierung der Schulzeit und ein Zurückversetzen dort hin, kann also durchaus guttun und darf auch sein – aber auch im Hier und Jetzt geht es irgendwie weiter und wir sollten diesen neuen Inseln auf unserer Reise eine möglichst freiheitliche Chance geben.

Zudem darf es bei all dem selbstverständlich nicht soweit kommen, dass wir unsere persönliche Glorifizierung aller Schulerfahrungen da draußen generalisieren und die Probleme von Schüler:innen abwerten – denn die gibt es, und es liegt an Politik und Gesamtgesellschaft sie anzugehen.

Übrigens: meine Schulfreundin, die bereits ein Jahr länger studiert als ich, liest unsere Schulzeitung nur noch alle zwei Wochen – vielleicht bin ich ja nächstes Jahr auch soweit 😉

Text und Bild von Madita Herget